„Welche ethischen Überlegungen spielen bislang eine Rolle, wenn es um die Nutzung digitaler Spurendaten im Bildungskontext geht?“
Es lassen sich über alle Studien hinweg vier wiederkehrende Themenbereiche feststellen:
Datenschutz und Dateneigentum: Der Begriff der Privatsphäre wird laut den einbezogenen Studien sehr unterschiedlich definiert und scheint abhängig von der jeweiligen Rechtslage zu sein. Diskutiert wird unter anderem,
wem erhobene Datensätze gehören und wie über Datenschutz nachgedacht werden muss, wenn bereits erhobene Daten anderweitig verwendet werden als ursprünglich vorgesehen. Auch die Datenübertragung an Dritte, z.B. bei der
Nutzung von Lern-Tools, wird vor dem Hintergrund von Kommerzialisierung und von möglichen Sicherheitslücken kritisch betrachtet. Zu Teilen wird die Möglichkeit der Überwachung als Gefahr für die Autonomie und das Vertrauen
der Schüler*innen gesehen. Auch Lehrkräfte sind ganz konkret mit diesem Themenbereich konfrontiert: Weiß ich, welche Daten die App sammelt, die ich im Unterricht verwende? Was passiert mit den gesammelten Daten und
passt das zu meinem Verständnis von Privatsphäre?
Gültigkeit, Integrität und Interpretation von digitalen Daten: Die Studien kritisieren, dass digitale Datenerhebung ggf. nicht-digitale Arten des Lernens missachtet und so kein objektives Bild liefern kann. Auf diese
Weise könnten Ungleichheiten geschaffen oder bestehende vertieft und reproduziert werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Schüler*innen aufgrund ihrer Herkunft manche Bildungswege nicht vorgeschlagen werden:
Weil der Bildungsaufstieg aus sozial benachteiligten Familien erwiesenermaßen mit mehr Hürden einhergeht, schätzt ein algorithmenbasiertes Lernprogramm eine spezifische Förderung ggf. als wenig zielführend ein, da die
Erfolgschancen vergleichsweise gering ausfallen. Die Lernprozesse, die die betroffenen Schüler*innen abseits der Plattform durchlaufen und sie sehr wohl für einen entsprechenden Aufstieg qualifizieren, werden dabei
missachtet. Gleiche Vorsicht ist bspw. geboten, wenn bestimmte Geschlechter-Stereotype von Plattformen reproduziert werden, wenn etwa Mädchen im naturwissenschaftlichen Bereich eine weniger differenzierte Förderung
erhalten. Lehrkräfte dürfen daher digitalen Spurendaten nicht blind vertrauen und müssen sich stets fragen: Bilden die Daten den Lernprozess der Schüler*innen adäquat ab? Welche zusätzlichen Informationen sind wichtig
zur Interpretation der Daten?
Ethische Entscheidungsfindung und Handlungsverpflichtung: Die Studien werfen die Frage auf, wie damit umgegangen werden soll, wenn die Datensätze bspw. zeigen, dass Schüler*innen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
scheitern oder Hilfe benötigen. Fraglich ist nicht nur, ob man zu einer Handlung diesbezüglich verpflichtet ist, sondern auch, ob ggf. die Eltern der Schüler*innen einbezogen werden müssen. Wenn bspw. eine Schülerin
ihre Aufgaben immer unvollständig, einen Tag zu spät oder mitten in der Nacht abgibt, muss die Lehrkraft eine Entscheidung treffen: (wie) spreche ich die Schülerin darauf an und ab welchem Zeitpunkt suche ich das Gespräch
mit ihren Eltern?
Governance und Rechenschaftspflicht: Innerhalb der einbezogenen Studien, wird es grundsätzlich kritisch gesehen, wenn nicht mehr Pädagogen über die Notwendigkeit einer Intervention entscheiden, sondern Softwaredesigner.